Im Zusammenhang mit Bauaufträgen wird ein Einheitspreisvertrag vor allem dann gewählt, wenn von den Vertragsparteien Leistungsänderungen erwartet werden. In einem solchen Fall ist nach dem Verständnis redlicher Parteien grundsätzlich davon auszugehen, dass sich auf der Baustelle ergebende Leistungsänderungen, die im Rahmen des ursprünglichen Leistungsziels liegen, dem Hauptvertrag zuzuordnen sind. Die Zusatzaufträge gehören daher – im Sinn eines einheitlichen Vertrags – zum Hauptauftrag.
Die Klägerin, eine Baugesellschaft, erstellte zur Sanierung der Wohnung der Beklagten ein Angebot über eine Angebotssumme von 52.935,35 EUR. Die Beklagte unterfertigte das Angebot der Klägerin, das feste Einheitspreise enthielt, in den Büroräumlichkeiten der Klägerin. Im Zuge der Bauausführung kam es zu Kostenüberschreitungen, weil die Beklagte auf der Baustelle zusätzliche Aufträge erteilte. Abgesehen von der Anzahlung verweigerte die Beklagte weitere Zahlungen und erklärte unter Berufung auf die Bestimmungen des Fern- und Auswärtsgeschäfte-Gesetz (FAGG) den Rücktritt von den Zusatzaufträgen. Die Klägerin begehrte die Zahlung von 29.357,58 EUR an restlichem Werklohn. Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt. Der Oberste Gerichtshof wies die Revision der Beklagten zurück und führte aus:
In Ansehung der Zusatzaufträge ist der Beklagten keine Belehrung (insbesondere auch über ein Rücktrittsrecht) zugekommen. Es ist daher zu prüfen, ob die Voraussetzungen für den sachlichen Anwendungsbereich des FAGG vorliegen. Dieser ist im vorliegenden Zusammenhang nur dann eröffnet, wenn davon auszugehen ist, dass die zu beurteilenden zusätzlichen Bauaufträge außerhalb der Geschäftsräume der Klägerin abgeschlossen wurden. Während der Hauptauftrag von der Beklagten im Büro der Klägerin unterfertigt und dadurch angenommen wurde, erteilte die Beklagte die Zusatzaufträge direkt auf der Baustelle. Die Beurteilung ist daher davon abhängig, ob die Zusatzaufträge jeweils als gesonderte Verträge zu qualifizieren sind, oder ob ein einheitlicher Vertrag mit dem Hauptauftrag vorliegt. Diese Frage ist durch Vertragsauslegung zu klären. Gerade für den Bauvertrag ist es typisch, dass im Zuge der Bauausführung Leistungsänderungen vereinbart werden, um das Leistungsziel zu erreichen. Zusatzleistungen werden in der Regel im Rahmen von Zusatzaufträgen angeordnet.
Bei einem – wie hier vorliegenden – Einheitspreisvertrag wird dem Besteller nur der Einheitspreis (Preis für die Einheit einer Leistung), nicht aber der Gesamtpreis zugesichert. Sofern es im Rahmen der Bauausführung zu Leistungsänderungen kommt, führt dies zu einer Änderung des Gesamtpreises. Die Abrechnung der Zusatzleistungen erfolgt dabei anhand der im Leistungsverzeichnis angeführten Preise. Ein Einheitspreisvertrag wird daher vor allem dann gewählt, wenn von den Vertragsparteien Leistungsänderungen erwartet werden. In einem solchen Fall ist nach dem Verständnis redlicher Parteien grundsätzlich davon auszugehen, dass sich auf der Baustelle ergebende Leistungsänderungen, die im Rahmen des ursprünglichen Leistungsziels liegen, dem Hauptvertrag zuzuordnen sind.
Die Vertragsauslegung führt somit zum Ergebnis, dass der Hauptvertrag durch die Zusatzaufträge konkretisiert wurde und daher ein einheitlicher Vertrag vorliegt. Da aus rechtlicher Sicht kein gesonderter, außerhalb der Geschäftsräume der Klägerin geschlossener Vertrag vorliegt, ist der sachliche Anwendungsbereich des FAGG auch in Bezug auf die Zusatzaufträge nicht eröffnet. Aus diesem Grund steht der Beklagten das beanspruchte Rücktrittsrecht nicht zu.
(OGH zu 4 Ob 28/18y vom 20.02.2018)